“Wir dürfen uns auch selbst nicht alles glauben”

Gerade in Zeiten wie diesen ist die Frage hochaktuell: Wie lassen sich Fakten von Fakes unterscheiden? Wissenschaftler Florian Aigner bietet mit seinem neuen Buch das ideale Rüstzeug dafür und nimmt zugleich mit auf eine fantastische Reise durch die Welt des Wissens. 

Florian Aigner im Gespräch

Ihr neues Buch “Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl” ist eine Liebeserklärung an die Wissenschaft. Was lieben Sie so daran?

Das Großartige an der Wissenschaft ist für mich: Sie ist eine Methode, mit der wir Menschen es gemeinsam schaffen, viel klüger zu werden, als das irgendeinem von uns alleine je gelungen wäre. Wir messen und beobachten, wie überprüfen und korrigieren. Unzählige Leute sind daran beteiligt – und am Ende kommt dabei etwas heraus, worauf wir uns alle verlassen können. Wissenschaft ist nicht die Einzelleistung genialer Forscher, sondern eine Gemeinschaftsleistung der ganzen Menschheit. 

Durch die Corona-Krise rückten WissenschafterInnen an die vorderste Wahrnehmungsfront, parallel erleben Verschwörungstheorien und Fake News ein neues Hoch. Wie können wir Wahrheit und Unsinn unterscheiden?

Es wäre schön, wenn ich darauf eine einfache Antwort hätte. Leider gibt es keinen simplen Trick, mit dem man Unsinn von Fakten zuverlässig unterscheiden kann. Aber der erste und wichtigste Schritt ist: Wir müssen einsehen, dass jeder von uns Fehler macht. Wir täuschen uns, wir werden von anderen getäuscht, wir lassen uns durch unsere Erwartungshaltungen beeinflussen. Ich glaube, in unserer Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten die Erkenntnis durchgesetzt, dass man Autoritäten hinterfragen muss und nicht einfach alles glauben soll, was einem gesagt wird. Das ist zweifellos richtig, aber wir dürfen uns auch selbst nicht alles glauben. Wir müssen uns auch selbst hinterfragen. Und wir sollten nie etwas für wahr halten, nur weil wir uns wünschen, es sei wahr. Sonst lässt man sich leicht in einen Strudel aus Fake News hineinziehen, aus dem man schwer wieder herauskommt.

Haben Sie ein Beispiel?

Florian Aigner

Ein wichtiger Indikator ist immer: Gibt es in der Wissenschaft einen breiten Konsens? Wir sehen das etwa beim Klimawandel: Da sind sich die Fachexperten bei den entscheidenden Fragen einig, weil es unzählige Indizien gibt, die sich alle zu einem logischen Gesamtbild zusammenfügen. In so einem Fall hat die Wissenschaft ein extrem hohes Maß an Zuverlässigkeit erreicht. Wenn es dann irgendwo eine Einzelmeinung gibt, die das anders sieht, hat das viel weniger Gewicht.

Sie schreiben, dass wir Wissenschaft und Bauchgefühl unterscheiden müssen. Was ist so negativ am Bauchgefühl und was kann die Wissenschaft besser?

Ich sehe das Bauchgefühl gar nicht negativ – im Gegenteil. Es leistet uns jeden Tag gute Dienste. Wenn ich überlege, was ich meinem Bruder zum Geburtstag schenken soll, kann ich mich nur auf mein Bauchgefühl verlassen. Es gibt keine wissenschaftliche Formel, mit der ich das korrekte Ergebnis ausrechnen kann. Aber wir müssen auch einsehen, dass es Fragen gibt, bei denen unser Bauchgefühl nicht mehr ausreicht. Und mit Hilfe der Wissenschaft gelingt es uns, ein viel höheres Maß an Zuverlässigkeit zu erreichen, als das mit bloßem Bauchgefühl je gelungen wäre.

Dr. Florian Aigner ist Physiker, Wissenschaftserklärer und Autor. Sein erstes Buch wurde zum Wissenschaftsbuch 2018 gewählt. 

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