Wehrt euch!

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Die Probleme, die uns im Netz begegnen, sind schier unendlich. Algorithmen, die manipulieren, Konzerne, die unsere Daten sammeln, Reichtum anhäufen und kaum Steuern zahlen, und und und. “Wir können uns aber wehren”, sagt Digitalexpertin Ingrid Brodnig.

Frau Brodnig, in Ihrem neuen Buch schreiben Sie, dass Sie einst voller Hoffnung auf das Internet geblickt haben, aber heute große Sorgen haben. 
Ja, in den letzten zehn, zwanzig Jahren haben wir einen Fehler begangen: Wir haben große Digitalkonzerne für uns definieren lassen, wie dieser Prozess namens Digitalisierung abläuft. Schauen Sie sich Ihre eigenen Geräte an: Bei einem Android-Handy – selbst wenn Sie es unbenutzt im Raum liegen lassen – müssen Sie davon ausgehen, dass es im Schnitt alle vier Minuten den eigenen Standort Google mitteilt.

Das wissen wir nicht, weil Google es kommunizierte, sondern weil ein Forscher namens Douglas Schmidt das im Labor gemessen hat. Die Intransparenz ist in meinen Augen oft Teil vieler Geschäftsmodelle.

Was Sie dabei besonders beschäftigt ist die Frage: Wer hat das Sagen im Netz?
Für mich war ein prägender Moment, als Facebook vor fast zehn Jahren die damaligen Einstellungen für alle Nutzer geändert hat. Plötzlich war der Standardmodus, dass man öffentlich postete. Mit einem Schlag änderte Facebook die Regeln für Millionen User und viele waren entsetzt. Mark Zuckerberg sagte dazu: „Wir haben uns entschieden, dass das jetzt die gesellschaftlichen Normen sind.“ Für mich wurde deutlich: Digitalkonzerne sind global so dominant geworden, dass sie sogar neue gesellschaftliche Normen formen oder formen wollen. Und in sehr vielen Bereichen – beim Datensammeln, der Steuerfrage, bei der Transparenz von Algorithmen – ist es an der Zeit, zu sagen: Moment, da braucht es klare Regeln. Also im Grunde fordere ich eine Re-Demokratisierung des Internets. Das klingt kompliziert, aber ich glaube, wir können das Internet neu gestalten.

Wir stehen an einem Scheideweg, wo es um die Frage geht: In welcher digitalen Zukunft wollen wir leben?

Sie sind eine der wenigen Frauen, die sehr sichtbar im männlich dominierten Diskurs über das Internet auftreten. Spielt das Thema Geschlecht hier auch eine Rolle?

Eine Anekdote: Amazon hat einmal an einer Software gearbeitet, die aus 100 Lebensläufen automatisch die besten Kandidaten erkennen sollte. Der Algorithmus wurde mit den Unterlagen von Bewerbern der vergangenen zehn Jahre trainiert, das waren großteils Männer. Das Programm schlussfolgerte, männliche Kandidaten sind wünschenswert und bewertete Frauen schlechter. Wenn im Lebenslauf stand, dass man ein „women’s chess team“ geleitet hatte, wurde das als negativ gewertet – weil das Wort „women’s“ vorkam. Schließlich stellte Amazon dieses Projekt ein, weil der Algorithmus so fehlerhaft war. Aber wir sehen: Software kann eine bedeutende Auswirkung haben – etwa, wer zum Bewerbungsgespräch eingeladen wird. Einerseits ist es wichtig, dass Menschen aus unterschiedlichen Kontexten bei der Entwicklung neuer Technik beteiligt sind – eben auch Frauen. Und andererseits brauchen wir auch staatliche Auflagen, wann Transparenz über bedeutende Algorithmen geboten werden muss. Besonders wenn Software einen gesellschaftlichen Rückschritt darstellt – etwa wenn Frausein als Negativkriterium eingestuft wird.

Haben Sie noch weitere Vorschläge, was jede/r einzelne/r tun kann?

Meine Anregung ist: Seien Sie aufmüpfig! Gerade in Europa haben wir Bürger einige Rechte. Jeder Nutzer kann von Unternehmen mit Verweis auf Artikel 15 der Datenschutzgrundverordnung anfordern, einem alle über einen gespeicherten Daten zu senden. Das kann augenöffnend sein: Bei mir kam heraus, dass Amazon 16 Jahre lang zurück jeden einzelnen Artikel aufgezeichnet, den ich bestellt hatte. Überlegen Sie sich, wie viel Information das über einen Menschen ist. Neben dem Engagement einzelner braucht es europäische Lösungen: Im Buch beschreibe ich einige Ansätze – von der Transparenz von Algorithmen, über das Steuerrecht bis hin zum Schutz vor politischer Einflussnahme. Derzeit ist es beispielsweise so, dass Facebook und Google selbst entscheiden, wie viel sie über die politische Werbung verraten. In meinen Augen sollte es klare europäische Vorgaben, wie viel Plattformen über die auf Nutzer zugeschnittene Werbung verraten müssen. Es gibt viele kleine Schritte, mit denen wir in eine andere Richtung im Netz steuern können – nur wir müssen mal losgehen.

Ingrid Brodnig ist Expertin für Netzpolitik. In ihrem neuem Buch „Übermacht im Netz“ geht es um die enorme Macht der Digitalkonzerne und wie wir ein gerechteres Internet einfordern können. Sie hält regelmäßig Vorträge und Workshops zum Thema. 

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