Für Mensch und Umwelt: Konzerne an die Kette!

Veronika und Sebastian Bohrn Mena werfen in ihrem Buch “Konzerne an die Kette!” einen Blick darauf, was hinter den Kulissen der Konzerne geschieht und welche Auswirkungen sie auf vermeintlich harmlose Konsumgüter haben, die unseren Alltag prägen. Die Experten geben aber auch zugleich Impulse, wie wir den Stopp der Ausbeutung von Mensch und Umwelt stärken können.


Ihr tretet ganz klar für ein Lieferkettengesetz ein. Warum reicht es schlichtweg nicht mehr, wenn wir als EndkonsumentInnen etwas unternehmen? Und warum ist das Lieferkettengesetz so dringend notwendig?
“Weil Konzerne es inzwischen einfach gewohnt sind, durch verschachtelte Vertragskonstruktionen und ausgelagerte Arbeitsschritte mit allem durchzukommen, was ihren Profit steigert. Ständig wird uns die Mär von der freien Wahl der
Konsument*innen erzählt, als seien wir selbst schuld am Elend dieser Welt. Als müssten wir nur tief genug in die Tasche greifen, um uns zumindest ein wenig Heil und reines Gewissen in die eigenen vier Wände holen zu können. Was in Deutschland, Österreich oder Europa verbotenn ist, kann in einem armen Land des Globalen Südens mit hoher Wahrscheinlichkeit trotzdem gemacht werden. Denselben Konzernen, denen wir den Import von Soja aus brandgerodetem Regenwald vorwerfen, können wir den Umgang mit importierten Leiharbeiterinnen aus den strukturschwachen Regionen Südost-Europas zur Last legen. Wenn wir in diesem Zusammenhang vom Betrug an der steuerzahlenden Bevölkerung sprechen und zu Recht die in Steuerparadiesen geparkten Milliarden anprangern, dann müssen wir auch den vorsätzlichen Betrug im Kühlregal thematisieren. Denn all diese Missstände sind Auswüchse ein und desselben Problems, oft sogar verursacht von denselben Personen. Dagegen nützt es nichts, wenn wir wieder und wieder die vermeintliche Macht der Konsumentinnen bemühen, deren Kassazettel angeblich ein Stimmzettel ist. Wir müssen endlich auch die Interessen und die Macht der Bevölkerung ansprechen. Denn die Freiwilligkeit, das zeigen uns viele Beispiele, funktioniert nicht, um gerechte Löhne zu zahlen und die Ausbeutung von Beschäftigten zu verhindern. Nur ein verbindlicher gesetzlicher Rahmen wird dazu führen, dass auch die Konzerne sich an die geltenden Regeln halten werden. Solange wir zulassen, dass sie ungeniert und ungehindert die Mär verbreiten dürfen, dass wir als Konsumierende dafür verantwortlich wären, so lange werden wir mit den negativen Auswirkungen ihrer Machenschaften konfrontiert sein. Verändern werden wir das also nicht an der Kassa, sondern nur durch einen gesetzlichen Schranken.”

Wenn man an Ausbeutung denkt, denkt man eher nicht an Europa, vor allem nicht an Deutschland oder Österreich. Dabei liegt der Tönnies-Skandal gerade einmal ein Jahr zurück. Wie sieht das also mit der Fleischindustrie aus, die bei uns produzieren?

“Nirgendwo in Europa sind die Löhne für die Schlachtarbeit so niedrig wie in Deutschland. In Spanien und Italien werden den Beschäftigten zumindest 14 Euro pro Stunde bezahlt , in Österreich sind laut Kollektivvertrag 15 Euro pro Stunde vorgesehen, in den Niederlanden und Dänemark sogar 22 bzw. 25 Euro pro Stunde. Rund 7.000 Menschen schuften allein in der TönniesFabrik in Rheda-Wiedenbrück im Bundesland NordrheinWestfalen, darunter kaum Deutsche. 80 Prozent der deutschen Fleischproduktion, so schätzt der europäische Gewerkschaftsverband EFFAT, werden mittlerweile von Arbeitskräften aus Rumänien oder Bulgarien erledigt. Von Menschen ohne echten Schutz und ohne Rechte, die per Leih- oder Werkvertrag von unbekannten Subunternehmen der großen namhaften Fleischkonzerne angeheuert werden. Die Art, wie Tönnies wirtschaftet, ist jedoch nur ein kleiner Aspekt in einer viel größeren Grundsatzfrage, mit der wir uns in Zeiten wachsender ökologischer und sozialer Krisen dringend beschäftigen müssen. “

Inwiefern hängt mit Konzernen nicht nur menschliches Leid, sondern auch die Umweltzerstörung zusammen?

“Das ökologische Gleichgewicht ist die andere Seite der Medaille, die es zu betrachten gilt, wenn wir über das „System
Tönnies“ als besonders bekanntes Beispiel sprechen, aber auch wenn wir die Machenschaften von Konzernen insgesamt betrachten. Und zwar ganz gleich, ob es um die Herstellung von Lebensmitteln oder die Erzeugung von Kleidung geht. Denn das hochprofitable Geschäftsmodell der Multis beruht ja nicht nur auf dem Raubbau an Menschen, sondern auch auf der Zerstörung unserer Natur. Tag für Tag werden beispielsweise weitere Hektar Regenwald vernichtet, um große Mengen von Soja anzubauen, das dann in der europäischen Schweinemast zum Einsatz kommt. Mittlerweile sprechen Fachleute sogar davon, dass der Regenwald „gekippt“ ist, also nun mehr CO2 ausstößt, als er absorbiert. Nicht weniger problematisch sind die Dschungel-Rodungen und der Landraub in den Ländern Südostasiens, wo das Palmöl herkommt, das ebenfalls in das hochkalorische Tierfutter gemischt wird, das bei uns in der Tiermast zum Einsatz kommt. Dieser Raubbau an der Natur ist auch einer der Gründe, warum die Viehzucht als einer der fünf Hauptverursacher für die Erderwärmung gilt. Diese hochprofitable Kette an Verbrechen wider die Menschlichkeit und die Natur reißt nur deswegen nicht, weil sie so extrem intransparent istEs scheint noch nicht hinreichend ins gesellschaftliche Bewusstsein vorgedrungen zu sein, dass mit jeder verlorenen Pflanzen- oder Tierart auch die Resilienz unseres Ökosystems abnimmt. Es wird also nicht nur gegenüber Menschen, sondern
auch gegenüber der Natur von Konzernen mit einer Rücksichtslosigkeit vorgegangen, die alles in den Schatten stellt.”

Was genau würde ein Lieferkettengesetz also bewirken?

“Das Lieferkettengesetz ist zunächst ein juristisches Instrument, das für Transparenz und unternehmerische Verantwortlichkeit sorgt. Weil es dazu führt, dass dokumentiert werden muss, was tatsächlich entlang der gesamten unternehmerischen Lieferkette geschieht, abseits von selbst gebastelten Gütesiegeln und geschönten Werbespots. Weil es Konsumentinnen und Konsumenten ermöglicht zu wissen, wo, wie und von wem das Produkt, das ihnen angeboten wird, produziert wurde. Dadurch lassen sich nicht nur die Verletzungen von Menschenrechten und Umweltstandards nachvollziehen und in weiterer Folge rechtlich ahnden, sondern es wird auch der wahre Ressourceneinsatz bei der Erzeugung unserer alltäglichen Konsumgüter transparent. Das gibt uns die Möglichkeit, jenem Teil der Wirtschaft, dessen Geschäftsmodell auf Raubbau beruht, einen wirksamen Riegel vorzuschieben. Und zwar nicht länger durch das Prinzip Freiwilligkeit, das nachweislich nicht funktioniert, auch weil es die Verantwortung auf die vorsätzlich getäuschten und geblendeten Konsumierenden verlagert, sondern durch Verbote. Es geht nicht darum, die letzten Glieder in den globalen Ketten der Konzerne anzuprangern und zu bestrafen, die kleinen Gerber in Bangladesch oder die Plantagenaufseher in der Elfenbeinküste, sondern dort aktiv zu werden, wo der „Kopf des Monsters“ sitzt, wie es Che Guevara einst so richtig zu Jean Ziegler sagte: Hier in Europa werden die gewaltigen Profite für einige wenige erwirtschaftet, und zwar mit Produkten, die mit gewaltigem Unrecht gegenüber ganz vielen erzeugt wurden.”

Was ist eines der größten Probleme, das uns daran hindert, noch mehr zu bewegen und zu verändern?

“Es ist nicht so, als wäre das vielen Konsumentinnen und Konsumenten nicht ohnehin bewusst, doch das Ausmaß der Vernichtung ist nicht sichtbar. Mit jedem Kotelett oder Würstchen aus den gigantischen Tierfabriken landet also das Ganze mit seiner Erzeugung verbundene Elend auf unserem Teller. Wer denkt schon an die aussterbenden Orang-Utans in Borneo, wenn er deutsches Schweinefleisch isst? Wer hat schon die vertriebenen indigenen Völker des Amazonas vor Augen, wenn er ins Wurstbrötchen beißt? Wir diskutieren nicht nur viel zu wenig über diese Wechselwirkungen, sie sind uns schlicht nicht bewusst genug. Aber es ist nicht nur notwendig, sondern auch wirkungsvoll, sich all diesen Gegebenheiten zu stellen. Sich auch mit der Wut zu konfrontieren, vor der man sich in Wahrheit abwendet, wenn man die Kinderarbeit ausblendet, die im Schokoriegel steckt, oder die erbärmlichen Arbeitsbedingungen, die nicht nur an der Produktionsstätte im Globalen Süden, sondern auch auf der „letzten Meile“ in unserer Nachbarschaft vorherrschen, wenn wir nicht gerade ausschließlich im Biomarkt einkaufen. Diese Abwendung gleicht einem Selbstschutzmechanismus, weil wir befürchten, dass wir ohnehin nichts ausrichten können gegen dieses Unrecht. Doch wir können etwas bewirken, wir können unsere Art zu leben verbessern – und wir müssen es sogar tun, wenn wir nicht weiter mit Vollgas auf eine Wand zufahren wollen, bis der unvermeidliche Aufprall geschieht. Wir sind heute nicht weniger politisch als in vergangenen Zeiten. Und wir haben schon gar nicht geringere Möglichkeiten, unsere Interessen durchzusetzen.”

Gibt es da Beispiele, wo das schon gelungen ist?

“Ökologische Fragen sind nicht erst im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und ihrer vermuteten Entstehung durch Zoonose vermehrt zum Politikum geworden. In Bayern votierten im Frühjahr 2019 unter dem Motto „Rettet die Bienen“ über 1,7 Millionen Menschen für strengeren Naturschutz, das waren ganze 18 Prozent der Bevölkerung. Noch nie war ein Volksbegehren in Bayern derart erfolgreich gewesen. Hauptmotor der Mobilisierung war ein Konflikt zwischen landwirtschaft und der allgemeinen Öffentlichkeit, der sich unter anderem am Einsatz von Pestiziden entzündete. Dahinter stand die Frage, wie Lebensmittel heute erzeugt werden sollen: in weitestgehend industrieller Fertigung, ausgerichtet auf Menge, oder aber in ökologischem Einklang, in regionalen Wirtschaftskreisläufen?
Nicht nur in Deutschland wächst schön langsam das gesellschaftliche Bewusstsein in Bezug auf ökologische Fehlentwicklungen und es mehren sich die von der Bevölkerung organisierten Initiativen dagegen. In Österreich unterschrieben im Januar 2021, trotz hartem Corona-Lockdown und damit einhergehender Einschränkung der Mobilität, über 416.000 Menschen das Tierschutzvolksbegehren. Es war eine von uns initiierte Bewegung gegen Massentierhaltung, die eben nicht von Parteien oder NGOs ausging, sondern von Menschen getragen wurde, die sich selbst als tierfreundliche Bürgerinnen bezeichneten, aber nicht als Fachleute. Es wurde vielleicht auch deswegen, aufgrund des verbindenden Ansatzes zwischen Konsumentinnen und Produzent*innen, das erfolgreichste
Volksbegehren seit Jahren in der Alpenrepublik, die sonst nicht unbedingt als Hort der direkten Demokratie bekannt ist.”


Welchen Beitrag kann nun euer Buch “Konzerne an die Kette!” dabei helfen?

“Wir möchten mit diesem Buch einen Beitrag dazu leisten, das Bewusstsein zu schärfen, wie und wieso wir am Ende alle betroffen sind von skrupellosen Machenschaften der Konzerne. Wie und wieso es uns etwas angeht, wenn Menschen Tausende Kilometer entfernt von uns und manchmal auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft unter Bedingungen leben und schuften müssen, die wir uns nicht einmal vorstellen können. Wie und wieso es Auswirkungen auf uns, aber auch auf unsere Nachkommen hat, wenn der Raubbau an der Welt, an Klima und Natur, ungebremst weitergeht, ja sogar noch laufend an Fahrt gewinnt. Wir haben mit diesem Buch kein Heilsversprechen anzubieten, aber wir können Fakten und Hintergründe aufzeigen. Wir können Lieferbeziehungen nachzeichnen und auch das
ganze Ausmaß des Schadens, der Tag für Tag auf der ganzen Welt für unseren schnellen Konsum angerichtet wird. Wir
können Zusammenhänge herstellen, wir können Ursachen ergründen und wir können Ableitungen vornehmen. Vor allem aber können wir den Versuch unternehmen, einen Beitrag dazu zu leisten, dass sich etwas ändert. Mit einem oder mit mehreren Gesetzen, mit der Stärkung eines Bewusstseinswandels – und mit der Belebung der Solidarität. Wir haben nichts zu verlieren, außer unsere Furcht vor der eigenen Ohnmacht. Aber wir haben eine ganze Welt für uns und unsere Liebsten zu gewinnen, wenn wir verstehen, wie stark wir mit ihr verbunden sind und wie wir sie daher auch positiv gestalten können.”


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