Clarissa Stadler im Gespräch mit Verleger Nikolaus Brandstätter

2022 feiert der Brandstätter Verlag sein vierzigjähriges Jubiläum – ein guter Grund, über die Geschichte dieses Verlags zu sprechen. Wie kam es zur Verlagsgründung, was macht den Beruf als Verleger aus und wie besteht das gedruckte Buch in Zeiten der Digitalisierung?

Nikolaus Brandstätter, gibt es eigentlich einen Gründungsmythos?

Man könnte den Gründungsmythos umschreiben mit „wie Phönix aus der Asche“. Die Asche war der Konkurs des Molden Verlags, bei dem mein Vater Geschäftsführer war, im Jahr 1982. Mein Vater hat daraufhin den Sprung ins kalte Wasser gewagt und aus der Bildbandsparte, die er bei Molden erfolgreich geführt hatte, diesen Verlag gegründet.

Der kulturelle Nährboden von Christian Brandstätter, dem Verlagsgründer, deinem Vater, war das Wien der Sechziger- und Siebzigerjahre. Wie bedeutend war in dieser Zeit noch das Wien um 1900?

Mein Vater, Jahrgang 1943, hat sich sehr für diese Zeit interessiert. Wien war zur Jahrhundertwende der Kristallisationspunkt der Moderne, eine unglaublich weltoffene Stadt. Diese Zeit , die meinen Vater fasziniert hat, war in den Sechziger- und Siebzigerjahren etwas verschüttet. Mit seinen Büchern hat er das, was es zu bewahren galt, vor dem Vergessen gerettet. Er war aus Oberösterreich nach Wien gekommen und hatte hier zuerst Jus studiert, sich aber bald mit diversen Künstlern befreundet. Irgendwann hat er den Hörsaal gegen das Café Hawelka getauscht, ein Ort in einer ziemlich grauen Stadt – zumindest schildert er das so –, an dem er mit Gleichgesinnten über eine neue, modernere Welt sprach.

Dieses graue Wien ist ein gutes Stichwort. Ich glaube, die Künstler hatten es damals nicht ganz einfach. Dein Vater war einer, der umgerührt und zahlreiche Künstlerfreundschaften gepflegt hat, eine davon zum Beispiel mit André Heller.

Ja, André Heller ist ein Lebensfreund meines Vaters. Sie kennen sich, seit sie Anfang zwanzig waren. Es gibt sehr lustige Fotos der beiden aus einem Fotoautomaten am Westbahnhof, wo sie Späße gemacht haben. Beide wollten zu dieser Zeit Dichter werden. Ich denke, es ist eine gute Fügung des Schicksals, dass es anders gekommen ist.

Die Fotografie spielt eine große Rolle in der Verlagsgeschichte. Stimmt es, dass dein Vater 1972 seine erste Fotografie gekauft und dann zu sammeln begonnen hat?

Die ersten Bilder hat er schon Ende der Sechzigerjahre gekauft, da trieb er sich auf Flohmärkten herum. Fotografie war damals ein total unterschätztes Medium. Meinen Vater interessierten zwei Dinge: Vintage Prints von Beginn der Fotografiegeschichte an, also ab den 1850er-Jahren, aber natürlich auch die Fotografen, die nun das moderne visuelle Bild prägten, wie Erich Lessing oder Franz Hubmann, mit denen er auch etliche Bücher gemacht hat.

Verlagsgeschäft ist Risikogeschäft. Wie ging es in den Neunzigerjahren weiter?

Das Wort Verlag kommt letzten Endes vom Begriff vorlegen, das heißt, dass der Verleger Projekte vorfinanzieren muss. Gerade im Bildbandbereich sind Projekte sehr aufwendig, kostenintensiv und mit Risiken verbunden. Das haben wir auch am eigenen Leib erfahren, 1991 war der Verlag insolvent. In seinen Strukturen und vom Kapital her war er damals ganz anders aufgestellt als heute. Aber er wurde vom österreichischen Staat gerettet. Kulturminister Scholten hatte befunden, dass der Verlag für das kulturelle Erbe Österreichs so wichtig ist, dass er bewahrt werden soll. Daraufhin wurde der Verlag dem österreichischen Bundesverlag angeschlossen, mein Vater blieb aber Geschäftsführer und hat seine Sache bestens weitergemacht. Durch diverse Entwicklungen wurde der Bundesverlag dann an die deutsche Klett-Gruppe verkauft, die aber eigentlich nur am Schulbuchbereich interessiert war. So hat sich für uns 2005 die Möglichkeit ergeben, den Verlag zurückzukaufen.

Also noch einmal Phönix aus der Asche?

Doppelt. Das bewundere ich an meinem Vater, er ist jemand, der niemals aufgibt und das Leben und die Kultur liebt. Darin ist er ein großes Vorbild für mich. Als er mir damals erzählt hat, dass es vielleicht eine Möglichkeit gebe, die Verlagsanteile wieder zurückzukaufen, hat er auch gesagt, dass er das nur machen möchte, wenn er eine Chance sieht, dass ich in seine Fußstapfen trete. Uns beiden war bewusst, dass Vater-Sohn-Konstellationen in vielen Familienunternehmen schiefgehen. Wir haben uns daher darauf geeinigt, dass ich genauso viele Anteile halten soll wie er. Dadurch haben wir immer auf Augenhöhe gespielt. Meist waren wir ohnehin auf einer Linie, hin und wieder gab es natürlich Diskussionen. Aber wir haben immer einen Weg gefunden. Im gegenseitigen Respekt und in Liebe ist uns das gut gelungen.

In den zehn Jahren, in denen du jetzt allein Geschäftsführer bist, hast du aus einem ehemals sehr kleinen, kunstverliebten Verlag einen modernen, breit aufgestellten Verlag gemacht mit den Bereichen Kunstbuch, Kochbuch, Sachbuch.

Das Schöne an unserer heutigen Aufstellung ist, dass wir auf mehreren Säulen stehen. Die älteste Säule, errichtet von meinem Vater, ist die DNA unseres Verlags: der Bereich Kunst und Kultur. Dazugekommen ist die Sparte Kochbuch, wobei mein Vater damit schon in ersten Ansätzen begonnen hatte, etwa in der wunderbaren Zusammenarbeit mit Ewald Plachutta. In den letzten zehn, fünfzehn Jahren haben wir den Kochbuchbereich stark ausgebaut und von reinen Rezeptsammlungen weiterentwickelt zu einer Trägerrakete für Lebensgefühl und Kultur.

Eine weitere Säule ist das Sachbuch.

Ja, das ist eine Sparte, mit der wir 2012 begonnen haben. Dieses Projekt war mir ein persönliches Anliegen und für unseren Verlag Neuland.

Wie erspürt man in einem Verlag große, wichtige gesellschaftspolitische Trends? Mehrere Brandstätter-Autoren haben in den letzten Jahren wertvolle Impulse geliefert.

Wir diskutieren im Verlag sehr viel und haben den Anspruch, mit jedem Buch, das bei uns erscheint, die Welt vielleicht einen Tick besser zu machen. Wir sehen uns als Plattform für kluge Meinungen. Wichtig ist uns, dass wir uns von tagespolitischen Diskussionen unterscheiden, dass wir uns auf einer Metaebene bewegen und die großen Themen in einer gewissen Tiefe behandeln.

Stichwort Digitalisierung: Was muss ein Buch können in Zeiten, in denen jeder Mensch sich jederzeit alles schnell aus dem Internet herausholen kann? Wie besteht das Buch?

Es geht um die Magie des Geschichtenerzählens. Und die gibt es, seit es Menschen gibt. In irgendwelchen grauen Vorzeiten sind Menschen um ein Lagerfeuer zusammengekommen und haben sich Geschichten erzählt. Damit wurde auch Kultur transportiert. Das Buch ist ein relativ junges Medium in der Menschheitsgeschichte – 500 Jahre sind nicht so lange. Aber Bücher haben eine unglaubliche Magie, die auch heute ungebrochen ist. Sie ermöglichen es, in neue Welten einzutauchen, egal ob in der Literatur oder in einem Sachbuch.

Dennoch hat sich auch das Verlagsgeschäft geändert. Wie reagiert man beispielsweise auf die Bedeutung von sozialen Medien in unserer heutigen Gesellschaft?

Natürlich beobachten wir alle Entwicklungen sehr genau und wollen sie auch mitgestalten. Darin sehen wir aber keine Bedrohung im Sinne von etwas, das die Leute vom Lesen abbringt, sondern eine Chance. Natürlich, es ist auch ein Kampf um Aufmerksamkeit. Wer zehn Stunden am Tag in sozialen Netzwerken verbringt und sich am Abend noch eine Netflix-Serie reinzieht, wird nicht mehr viel Zeit zum Lesen übrighaben.

Aber manche entdecken gerade im Netz vielleicht auch den Tipp, der sie zum Buch führt.

Genau darin liegt für uns auch die Chance, nämlich über neue Medien mit unseren Leser*innen in eine direkte Kommunikation, in einen Austausch zu treten. Wir haben mit dem Café Brandstätter beispielsweise ein neues digitales Talk-Format ins Leben gerufen. Gleich zu Beginn der Pandemie haben wir Mutmacher*innen aus verschiedenen Bereichen eingeladen, sich nicht nur mit Corona zu beschäftigen, sondern damit, wie eine bessere Welt aussehen kann. Mittlerweile hat sich das Format unglaublich gut etabliert, und dieser Erfolg zahlt natürlich auch auf unsere Bücher ein.

Wenn du auf vierzig Jahre Brandstätter Verlag zurückblickst: Wohin wird die Reise in den nächsten Jahren gehen?

Die direkte Kommunikation mit unseren Leser*innen wird noch stärker werden, glaube ich. Doch an unserer Grundarbeit wird sich nichts ändern, egal, welche neuen Medien und Kanäle sich auftun: Wir wollen Bücher machen, die Relevanz haben und einen Diskurs anstoßen.

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